Früher hat man auf die Bikinifigur ausschließlich für den Sommer hingearbeitet. Heute springen immer mehr Menschen auch mitten im Winter in Seen und Flüsse. Kein Wunder: Ist ja auch gesund und entspannend – nur nicht für jeden

Christina steht am Ufer der Elbe, atmet tief durch, wirft einen Blick auf die Hafenkräne gegenüber und macht ein paar Schritte vorwärts. Das braune Wasser umspült ihre Knie, die Zehen kann sie nicht mehr sehen. Dann lässt sie sich nach vorn fallen und macht ein paar kräftige Schwimmzüge hinaus in den Fluss. Das Schwimmen in der Elbe wird aus diversen Gründen behördlicherseits nicht empfohlen (Sichteinschränkung! Schiffsverkehr! Strömungen!), verboten ist es aber nicht. Christina, eine Frau in ihren mittleren 50ern, dreht sich jetzt zum Ufer um. Da ist der breite Sandstrand, da ist der legendäre Kiosk „Strandperle“, da sind ein paar Spaziergänger mit Hund. Und die, allesamt eingemummelt in Daunenjacken und Handschuhen und Mützen und Schals, schauen ihr fassungslos zu. Die Außentemperatur beträgt an diesem Morgen drei Grad, und zwar minus. Das Wasser: vier Grad plus. „Ist egal“, sagt Christina, „unter neun Grad nimmt man meiner Erfahrung nach keine Unterschiede mehr wahr.“

Jeden Tag in diesem Winter trifft sich Christina mit einem Freund hier an Hamburgs beliebtestem Strand, jeden Tag wirft sie sich in die braune Bibbersuppe. Nicht wenige der zufälligen Zuschauer halten die beiden für komplett bescheuert, und das ist sicher eine mögliche Sichtweise. Aus gesundheitlicher Perspektive jedoch machen sie so ziemlich alles richtig. Und außerdem folgen sie nur einem Trend, der sich in Deutschland in diesem Winter ausbreitet wie Windpocken im Kindergarten. Ob beim Neujahrsanbaden an der Nordsee, an der Weser bei Bremen oder dem Berliner Teufelssee: die Zahl derer, die in eiseskalte Gewässer geht, steigt mit sinkenden Temperaturen. Das Eisbaden erobert die Lockdown-Republik.

Okay, warum ist das jetzt aber eine gute Idee? Da gibt der Kneipp-Bund Auskunft. Und sagt: Kurze Kälteanwendungen trainieren die Blutgefäße und fördern die Durchblutung. Überhaupt profitiert das Herz-Kreislauf-System von der Sause, Cholesterinwerte sinken, der Blutdruck wird reguliert. Die Menge an Leukozyten und Monozyten erhöht sich, was super ist für das Immunsystem – Viren und Bakterien haben es deutlich schwerer. Sagen jedenfalls Experten wie der Münchner Sportkardiologe Martin Halle. Ihm zufolge „mehren sich die Belege, dass Winterschwimmer widerstandsfähiger gegen bestimmte Krankheiten und Infektionen sind und seltener und milder an ihnen erkranken“.

Das Ganze hat auch einen entspannenden Effekt. Jedenfalls hinterher – das Eintauchen in das Eiswasser setzt den Körper erst einmal unter Stress. Aber sobald man die paar Minuten Kaltwassertherapie durchgestanden hat, stellt sich ein wohliges Gefühl der Erholung ein, man fühlt sich zugleich frisch und gestärkt und von innen gewärmt.

Also Zähne zusammenbeißen und ab in den nächsten See? Äh… nein. Jedenfalls nicht sofort. Vorher sollte man sich einer Eignungsprüfung unterziehen, denn Eisbaden ist nicht für jeden etwas. Der eben erwähnte Stress der ersten Sekunden macht die Sache für manche von uns sogar gefährlich. Wer Vorerkrankungen des Herzens hat wie etwa Angina Pectoris, wer unter Bluthochdruck leidet oder unter Diabetes, der sollte es besser lassen.

Hat Christina alles nicht. Und sie hält sich an die Regeln: Langsam reingehen in Wasser, einen Kälteschock vermeiden. Immer jemanden an ihrer Seite haben. Nie länger als ein paar Minuten im Wasser bleiben, nie den Boden unter den Füßen verlieren. Und spätestens dann wieder raus an den Elbstrand waten, wenn der Körper beginnt, die Kälte als angenehm zu empfinden. „Für mich ist das eine Extremerfahrung, ich muss jedes mal raus aus meiner Komfortzone“, sagt sie und wickelt sich tropfnass in ihr molliges Badetuch. Und fügt hinzu: „Aber genau das tut mir so gut.“