So ziemlich allen Gewerken hat Corona eine ordentliche Delle verpasst. Aber es gibt auch Krisengewinnler: Nie wurden so viele Fahrräder und E-Bikes gekauft wie 2020. Zum Glück: Radfahrer machen nicht nur sich, sondern auch die Welt besser
Letztes Jahr haben sie was probiert in Ottensen. Haben die Hauptstrasse und ein paar Gassen drumherum für den Autoverkehr gesperrt, morgens durften die Geschäfte noch beliefert werden, dann war Schluss für Kfz. Plötzlich konnte man auf dem Kopfsteinpflaster laufen oder mit dem Rad drüber hoppeln, ohne Angst zu haben, von einem gestressten Parkplatzsucher überfahren zu werden. Die Ottenser Hauptstrasse im mittleren Hamburger Westen ist eine schmale Einbahnstrasse, aber der Effekt fühlte sich viel größer an. Es war ein Vorgeschmack darauf, wie sich eine autofreie Stadt anfühlen würde. Und die ist inzwischen weit mehr als eine Vision von Öko-Spinnern. Die Menschen sehnen sich danach. Sie haben ja auch Alternativen.
Gut 42 Prozent aller deutschen Großstadtbewohner haben kein Auto. Ein Fahrrad dagegen besitzt quasi jeder, 76 Millionen davon gibt es in diesem Land. Und das ist, rein nüchtern betrachtet, ohnehin das viel bessere Verkehrsmittel: Bei Zielen in unter zehn Kilometern Entfernung ist der Zeitverlust gegenüber dem Auto gering – außerhalb der Rush Hour. Fährt man in Stoßzeiten mit dem Wagen, hat das Fahrrad klare Zeitvorteile. Noch mehr, wenn es ein E-Bike ist.
2019 war ein Rekordjahr für Fahrradkäufe, 4,3 Millionen Stück wurden in Deutschland verkauft, ein Drittel davon elektrisch. Auch 2020 fing gut an, dann kam Corona und der erste Shutdown, die Läden blieben zwei Monate geschlossen. Und trotzdem wurden nach der Wiedereröffnung bis Ende Juni 3,2 Millionen Fahrräder gekauft. Ob Rennrad, City Bike oder Elektro-Fahrrad Trekking-Maschine: Radfahren boomt. Und zwar wie verrückt.
Aus gutem Grund. Der Wunsch, gesund zu leben, wird immer größer. Und Radfahren ist gesund für quasi jeden Aspekt von Körper und Seele – Muskeln stärken sich, die Durchblutung wird angeregt, das Lymphsystem kommt in Wallung, die Frischluft pustet das Hirn frei und setzt Endorphine in Umlauf. Kurz: Man wird durch Radfahren ein besserer Mensch. Und man macht die Welt besser, wenn man darauf verzichtet, auf derselben Strecke mit dem Auto die Stadt vollzustinken und CO2 in die Atmosphäre abzugeben. Und auch die Stadtplaner tragen dieser Entwicklung Rechnung und treiben sie voran. In Hamburg zum Beispiel wird gerade mit Hochdruck an einem Veloroutensystem gebaut – 14 verschiedene Fahrradhighways, auf denen zwei Räder aus Prinzip Vorfahrt haben und die das gesamte Stadtgebiet erschließen.
Dabei ist es, so rein gesundheitlich, nicht ganz egal, ob man E-Bike fährt oder komplett selbst strampelt. Denn klar sind die Trainingseffekte für den Körper deutlich größer, wenn man sich nicht von 250 Watt unterstützen lässt. Aber auch auf dem E-Bike trainiert man, und der Nachteil zum herkömmlichen Fahrrad wird dabei anderweitig ausgeglichen – Studien belegen, dass E-Biker öfter, länger und weiter fahren und schon allein deshalb ordentlich Energie verbrennen.
Aber so ein Fahrrad ist ja nicht nur was für die alltäglichen Wege durch die Stadt. Auch als Ausflugsverkehrsmittel wird es immer mehr geschätzt, immer größer die Auswahl an guten Tagestouren. Hier zum Beispiel sind 20, die die Outdoor-Website Komoot für die schönsten in Deutschland hält – da geht’s im Ruhrgebiet um den Baldeneysee und über alte Kohlentrassen, einmal rund um den Starnberger See oder an der Müritz einmal nach Mirow und zurück.
Weil aber auch Rennradfahren als Sport immer beliebter wird, hier noch ein Tipp für alle, die in ferner Zukunft gern mal ein Rennen fahren würden, sich jetzt aber noch nicht trauen: In ganz Deutschland gibt es jährlich Dutzende von RTFs – Radtourenfahrten heißt das in voller Länge. Die werden von örtlichen Radsportvereinen ausgerichtet, gibt es meist in verschiedenen Streckenlängen und sind eine Mischung zwischen Training allein und einem großen Jedermann-Rennen wie die Cyclassics in Hamburg oder der Velothon in Berlin, manchmal auf abgesperrten Strecken, immer aber blendend organisiert und geführt. Auf dem Breitensportkalender findet man alle Rennen und Links zu weiteren Infos, und dann kann es eigentlich auch schon losgehen mit dem „Österlichen Kleeblatt“ (Lübeck), der „9-Seen-CTF“ (Hessen) oder der „Kaffkieker RTF“ (Syke).
Der Frühling kann kommen.